Dr. Christian Mölling sprach über Herausforderungen in der deutschen Sicherheitspolitik

Von Aranka Szabó

Dr. Christian Mölling von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) spricht vor der Bundesversammlung  Foto: asz

Berlin. Auf der Bundesversammlung gab Dr. Christian Mölling von der Stiftung Wissenschaft und Politik einen Überblick über „Eine neue deutsche Verteidigungspolitik“. Sein Tenor: es braucht dringend eine Streitdebatte über die Bedeutung von Sicherheit in Deutschland.

Eine „neue deutsche Verteidigungspolitik“ passiert nach Ansicht von Dr. Christian Mölling derzeit „unter falschen Vorzeichen“. Die militärische Debatte über die Ukraine werde zu sehr im nationalen Blickwinkel geführt und ließe außer Acht, „dass der Rahmen unter dem wir seit Jahrzehnten operieren, ein gemeinsamer Rahmen ist. Nämlich die Nato.“ Militärisch gesehen, sei damit die Ukrainediskussion „längst geregelt“. Für Mölling ist die aufgeflammte Nato-Debatte eine alte, die, tagespolitisch überzeichnet, falsche Prioritäten setze. Die Frage sei derzeit nicht: „können wir einen Krieg gegen Russland gewinnen?“, sondern: „wie kann man das zusätzliche Problem Russland unter Kontrolle bekommt - neben Afrika?“ Europa habe eine massive Verpflichtung in der internationalen Ordnungspolitik übernommen. „Das ist ein Schuldschein, den müssen wir einlösen.“ Es könne nicht Sinn sein, sich jahrelang in Afrika zu engagieren und die Erfolge dort durch einen Abzug zunichte zu machen. 

Man müsse sich auch fragen, wo überhaupt im Ukrainekonflikt die Handlungsmöglichkeiten lägen, in Anbetracht von Finanzkrise und jahrelangen strukturellen Abbau von Militärausgaben, deren Erhöhung Mölling für „undenkbar“ hielt. Sein Fazit: Militärisch sei die Krise nicht zu stabilisieren, sondern müsse wirtschaftlich und finanziell stabilisiert werden, denn „wir können kein Interesse daran haben, mitten in Europa ein Failed State zu haben.“ Deshalb „sind wir auf Gedeih und Verderb festgelegt, mit der Ukraine konstruktiv umzugehen und das Beste draus zu machen.“ Damit kam Mölling auch auf die energiewirtschaftliche Abhängigkeit von Russland zu sprechen. „Wir können nicht einfach so umschalten“, auch seien Verträge einzuhalten. „Da ist wenig Spielraum“, stellte der Experte fest und „kein einfacher Weg raus“. Mölling verdeutlichte, dass die angesprochenen Problemfelder keine regionalen, sondern funktionelle Risiken sind, die für die europäische Gesellschaft von großer Bedeutung seien. Mit Afrika ins Geschäft zu kommen, sei ein „massives Interesse“ Deutschlands. Auf dem Nachbarkontinent gebe es die Rohstoffe, die unseren Bedarf decken könnten. Da brauche es keine humanitären Gründe, sich dort zu engagieren. „Es sei denn, wir wollen uns auf Russland oder China verlassen.“

Militär sieht Mölling als ein Instrument der Politik. „Die militärische Dimension ist die Rückversicherung, dass wir politisch handlungsfähig sind.“ Wobei es in Deutschland schwierig sei, das zu vermitteln. Die NATO bilde dabei die militärische Rückversicherung, während die politische Handlungsfähigkeit durch die Europäische Union gewährleistet werde. Dennoch stellte Mölling klar: Politische Optionen gegen Russland werde man nur haben, wenn man auch militärisch in Europa stark sei. Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien böten den Rahmen, wo die anderen sich einklinken könnten. „Was brauchen wir und wer liefert das“, werde die Frage auf dem kommenden NATO-Gipfel sein. „Da wird Deutschland wieder gefragt sein.“ Es gebe aber im Militärischen auch noch Effizienzreserven. Wir könnten deutlich besser werden, wenn wir das, was wir im Einsatz täten, auch hier machen würden: „uns auf andere verlassen.“ Man müsse sich auch darüber im Klaren sein, was immer über Deutschland militärisch hereinbreche, Deutschland nicht alleine stemmen könnte. Dennoch sagte er über das Militär in Europa: „Wir sind abhängiger geworden als wir es hätten sein müssen“, was zufolge habe, dass damit die Handlungsfähigkeit geringer sei als sie sein könnte. In den letzten fünf Jahren hätten wir 20 Prozent der militärischen Fähigkeiten in Europa verloren. Das sei nicht nur in der Anzahl von Soldaten oder Material zu spüren, sondern auch in der militärischen Führungsqualität. „Wir sind militärisch nicht mehr in der Lage, große komplexe Operationen überall zu führen.“

Mölling sah in dieser Krise die Chance, den Westen mit seiner Wertegemeinschaft neu zu beleben und weiterzuführen, wobei diese Gemeinschaft eine begrenzte Partnerschaft sei. „Die Frage NSA ist nicht und wird nicht geklärt“, sagte Mölling. Auch deshalb riet er: „Europa sollte erwachsen werden“ und erkennen, dass nicht alles verbindet. Deutschland habe in den letzten Jahren immer im Windschatten europäischer Interessen argumentiert. Das sei zwar einfach, weil man so seine eigenen Interessen nicht laut definieren müsste, aber damit, so Mölling, „macht man sich von den Interessen – und der Führung – anderer abhängig.“ Das bringe aber mit sich, dass, wenn andere Fehler machten, man selbst mit verantwortlich sei.  „Das ist fast eine masochistische Ader.“ Das habe auch nichts mit Verantwortung zu tun, die der Politik übertragen worden sei. Im Gegenteil: das sei Abgabe von Verantwortung und das mache zudem unfrei.

Die passive Haltung in der Zielformulierung stehe im Widerspruch zu der Bedeutung Deutschlands innerhalb der EU. „Das, was Deutschland macht, entscheidet darüber, wohin Europa geht“, beschrieb er sie. Da erwarteten die Partnerstaaten, „dass wir erst einmal sagen, was wir wollen und das dann nach Europa tragen“, so Mölling. „Da ist es unverantwortlich, den Leuten nicht zu sagen, wo wir hingehen.“ Eindeutigkeit und Verlässlichkeit sei in der Diplomatie enorm wichtig. „Da haben wir einen enormen Nachholbedarf“, stellte Mölling fest. Seit über einem Jahrzehnt „haben wir ein Streit-Vakuum über Fragen von Krieg und Frieden, über Fragen von Leben und Tod und wie Deutschland sich dazu stellt.“ Es gebe kein geschärftes Bewusstsein für das, um was es eigentlich ginge. Deshalb forderte er: „Wir müssen anfangen zu streiten.“ Und zwar auch in der Gesellschaft, denn die politische Handlungsfähigkeit im internationalen Raum sinke auch durch die Haltung innerhalb der eigenen Bevölkerung, bei der es eine „Verantwortungslücke“ gebe. „Wir sind für die Welt verantwortlich, in der wir leben, im Guten wie im Schlechten, ob wir was machen oder nicht handeln“ – das müsse Politik innerhalb ihrer eigenen Reihen und in der Gesellschaft thematisieren, denn zunehmend, und nicht nur in Deutschland, werde es eine gesellschaftliche Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen geben. Zu dieser Diskussion gehöre auch, das Selbstverständnis Europas anzunehmen. Wenn Spanien und Italien ein Problem mit Flüchtlingsströmen habe, dann sei das auch ein deutsches Problem. „Die Grenzen Deutschlands, das ist vertraglich festgelegt, verlaufen südlich von Sizilien.“ Deren Probleme dürfe man nicht außer Acht lassen.

Mölling hoffte durch die Ukraine auf eine neue innenpolitische Debatte, die das Bewusstsein für die  Frage schafft: „Was ist Sicherheit für Deutschland und welche Rolle spielt Verteidigung in diesem Zusammenhang?“ Und das vor dem Hintergrund, dass die Mitvierziger-Generation schon im Wohlstand und Frieden groß geworden sei und die jetzigen Studenten Krisen und Krieg nur noch aus dem Geschichtsunterricht kennen.    

 

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