Johannes Clair: „Vier Tage im November“
Kampfeinsatz in Afghanistan
Rezension von Peter E. Uhde
„Mein Kampfeinsatz in Afghanistan“ ist der Untertitel des Buches des siebenundzwanzigjährigen Johannes Clair. Der Fallschirmjäger war sieben Monate, von Juni 2010 bis Januar 2011, mit seiner Kompanie in der Task Force Kundus im Einsatz. Seinen Alltag im Feldlager, als Wachposten, in der Notbereitschaft, auf Fußpatrouille, als Gefechtssicherung von Fahrzeugkolonnen oder Sprengmitteilräumkommandos, Begleitschutz und die Erlebnisse in den Gefechtssituationen mit den Aufständischen hat er erst nach der Rückkehr innerlich verarbeitet. Daraus ist der bisher wohl einzige Erlebnisbericht eines Infanteristen über den Einsatz im Norden Afghanistans geworden.
Die kleine Kampfgemeinschaft
Muli,
Nossi, Simbo, Kruschka, Wizo, Jonny, Russo, Butch, Dolli, Mica, TJ, Hardy und
Joe bilden für die Zeit in Afghanistan ein Team. Ihren Gruppenführer nennen sie
Muli und für seine Kameraden ist Johannes Clair eben Joe. Extreme Hitze,
feinster Staub, Dreck, Hunger und immer wieder Durst, Schlafmangel, Gereiztheit,
Flüche, Sprengstoffanschläge, Nachdenklich- und Traurigkeit sind ihre Begleiter
über sieben Monate in einem fremden Land. Sie sehen nur einen kleinen Teil davon
und der Kontakt mit der Zivilbevölkerung ist auch gering.
Joe und seine Gruppe gehören zum Zug GOLF. FOXTROTT, HOTEL und INDIA sind die Namen der anderen Züge der Fallschirmjägerkompanie. Im Distrikt CHAHAR DARRAH, südlich von Kundus sind sie hauptsächlich im Einsatz. Hier ist auch die Ortschaft Isa Khel bei der am Karfreitag, 2. April 2010, drei Kameraden aus Joes Fallschirmjägerbataillon beim Gefecht mit Aufständischen gefallen waren. Jeder Einsatz im und um das Polizeihauptquartier, die Höhen 431 und 432 vor der Westplatte, gelegen rufen die Verluste, verbunden mit Zorn, immer wieder in Erinnerung.
Der Feind kann überall auftauchen
Nach einem Alarm
rückt die Kompanie nach Baghlan aus. Dort ist die Task Force Mazar-e-Sharif in
Kämpfe verwickelt. Unterwegs wird sie angegriffen. „Ich befehle durchzubrechen.
Die ganze Kompanie: Vollgas!“ Der Befehl des Kompaniechefs hat das Durcheinander
in den Funksprüchen übertönt. Sie kommen aus der Gefechtszone heraus und
erreichen den deutschen Außenposten OP North. Die Gefechtsschäden werden
beurteilt. Fast alle Fahrzeuge haben Einschusslöcher, an drei Fahrzeugen sind
Reifen zerfetzt, bei einem Transportpanzer sind Splitter in der hinteren Tür.
Die Mine ist zum Glück für die Besatzung erst knapp hinter dem Fahrzeug
explodiert. In Joes Tür steckt noch ein Projektil, das ein fingerdickes Loch in
die Panzerung gerissen hat. „Insgesamt war die Sache sehr glimpflich verlaufen,
aber der Feind hatte wieder einmal gezeigt, dass er uns unerwartet treffen
konnte“, fasst der Autor das Geschehen zusammen.
Der 7. Oktober 2010 beginnt wie viele andere Tage für die Soldaten des GOLF-Zuges. Die Meldung, dass der Sanitäter Florian Pauli in der Nähe von Baghlan gefallen ist, trifft sie alle und lässt sie nach dem Sinn ihres Einsatzes fragen. In einem kleinen Gedenkraum nimmt Johannes Clair von seinem Freund Abschied. Auf der Gitarre spielt er leise Akkorde, tritt vor das Foto, erwidert sein Lächeln und salutiert.
Vier Tage unter Beschuss
Das letzte Kapitel des Buches trägt die Überschrift „HALMAZAG“. Mit dieser Operation „BLITZ“ wollen die ISAF-Kräfte im Herbst 2010 die Sicherheitslage um Kundus und den Schutz der Bevölkerung verbessern. Fünfhundert Soldaten, einschließlich Amerikanern, Belgiern und Afghanen, waren für die Operation vorgesehen.
Vier Tage liegt die Kompanie, abgeschnitten vom Nachschub, im Gefecht mit dem Feind um die Ortschaft Quatliam. „Wir wirkten wie ein verschmutzter, lehmiger Klumpen mit strähnigen Haaren und dunklen Rändern unter den Augen“ ist Joes Bilanz nach der dritten Nacht. Am vierten Tag entspannt sich die Lage, der afghanische Geheimdienst meldet, dass die Aufständischen tot, geflohen oder übergelaufen sind. Am sechsten Tag wird die Kompanie aus der Stellung abgelöst und kehrt ins Feldlager zurück.
Im Januar 2011 ist der Afghanistaneinsatz für Clair und seine Kameraden zu Ende. Sie kehren nach Deutschland zurück. Andere Truppen verlegen nach Afghanistan und werden trotz der beschlossenen Rückverlegung und Beendigung der ISAF- Mission mit einem anderen Auftrag am Hindukusch bleiben.
Wer sich für den Dienstalltag und die Belastungen der Soldaten in Afghanistan interessiert, nicht aus der Perspektive von Vorgesetzten, sondern des Kämpfern in vorderster Front, dem ist die Lektüre empfohlen.
Johannes Clair: Vier Tage im November. Mein Kampfeinsatz in Afghanistan. 410 S., Econ-Verlag, 2012, ISBN 978-3-430-20138-4, Broschur, 18,99 Euro.