Innenansichten aus der israelischen Armee

David Ranan: „Ist es noch gut, für unser Land zu sterben?“

 Von Peter E. Uhde 

27 Monologe von Israelischen Männern und Frauen, die entweder zum Wehrdienst heran stehen, ihn schon geleistet haben, Reservedienst leisten oder sich der Dienstpflicht  verweigern, befassen sich mit dieser Frage.

David Ranan erzählen sie, mit welchen Gedanken, Gefühlen oder Gewissenskonflikten sie sich vor dem dreijährigen Wehrdienst auseinander gesetzt haben.

Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter  des Deutschen Bundestages von 2006 bis 2010 leitet die Publikation mit einem Vorwort ein. „Anders als in Deutschland genießen Soldatinnen und Soldaten in Israel eine fast uneingeschränkte gesellschaftliche Akzeptanz“. Dem gegenüber steht in Deutschland das „freundliche Desinteresse“, zu den Streitkräften, wie es der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler einmal formulierte. Für Robbe ist ein Diskurs über die gesellschaftliche Akzeptanz der Bundeswehrsoldaten längst überfällig.

Veränderungen bestimmen den Alltag

Der Autor kennt die israelische Arme aus seiner eigenen Dienstzeit.  Die Idee zum Buch entstand durch Gespräche mit Freunden, wobei er erfuhr, dass zwei der drei Söhne sich dem Wehrdienst entzogen hatten. Das ist in letzter Zeit in Israel immer häufiger der Fall und zeigt, dass das Verhältnis der jungen Generation zum Staat nicht mehr dem der Gründer- oder Folgejahre entspricht.

Um die Geschichte Israels zu verstehen, zeigt er diese in einem komprimierten Abriss auf. Die Israelische Verteidigungsarmee ZAHAL gehörte von Anfang an dazu. Seit seiner Einberufung 1965 hat sich das Land verändert, seine Bevölkerung, das Verhältnis zu den arabischen Nachbarn  und damit die Aufgaben der Armee. Ranan wollte zum einen wissen, wie sich junge Israelis mit „ihren möglichen Zweifeln und moralischen Bedenken gegenüber dem Wehrdienst auseinandersetzen“. Zum anderen aber auch, wie der Staat mit der fehlenden Motivation für den Militärdienst umgeht. Mit über fünfzig Israelis führte er Interviews. Sie waren zwischen achtzehn und dreißig Jahre alt. Einige waren im letzten Schuljahr vor der Einberufung, andere hatten ihre Dienstzeit beendet. 27 Interviewantworten, ohne die Fragen des Autors, sind wiedergegeben.

Israels Armee besteht aus drei Säulen, nämlich Berufssoldaten, Wehrpflichtigen und  Reservisten. Männer müssen drei Jahre, Frauen zwei Jahre dienen. Erst in den letzten Jahren sind Formen der Ablehnung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen, Drückebergerei oder Widerstand gegen Krieg in der israelischen Gesellschaft aufgetreten. 2009 begann das Erziehungsministerium mit einem Programm, das Lehrern „beibringen“ sollte, wie man die Schüler zum Wehrdienst motiviert. Um ihren siebzehnten Geburtstag werden jüdische Bürger zur ersten Musterung bestellt. Normalerweise erfolgt die Einberufung mit dem achtzehnten Lebensjahr. Es besteht aber auch die Möglichkeit ein freiwilliges soziales Jahr vor dem Armeeeintritt zu absolvieren.  Wer vom Militärdienst befreit wird, leistet Ersatzdienst.  Das sind meist jüdische Frauen, die eine religiöse Einstellung als Begründung angegeben. Israelische Araber werden nicht zum Militärdienst eingezogen.

Von säkular bis ultraorthodox

Die Möglichkeit sich auf ZAHAL vorzubereiten, ist in vormilitärischen Lehrgängen gegeben. Ofer, neunzehn, schildert begeistert was da gemacht wird. „Auf den Spuren der PALMACH“ wird eine Tour genannt, die Hymne der Palmach gesungen und der Palmach die Treue geschworen. Um die im Buch verwendeten Fachausdrücke zu verstehen, ist ein Glossar vorhanden. Palmach bedeutet Sturmtruppe, sie wurde 1941 gegründet, um die jüdische Bevölkerung des damaligen britischen Mandatsgebiets Palästina/Erz Israel gegen einen eventuellen deutschen Angriff zu verteidigen. Sie sollte als Guerillatruppe hinter den deutschen Linien tätig werden. Nach Staatsgründung 1948 wurde sie aufgelöst, war aber Basis der im Aufbau befindlichen Streitkräfte.

Mosche ist ein 23-jähriger Ultraorthodoxer und „üblicherweise“ gehen diese nicht zum Militär. Er bedauert es „ein bisschen“ dass er nicht beim Militär gewesen ist, „ein bisschen, nicht viel“. Um aber auch Ultraorthodoxe für den Wehrdienst zu gewinnen, gibt es ein Infanteriebataillon, in dem diese Soldaten ihre gewohnte Lebensweise ermöglicht wird. Es gibt aber nur wenige Anwärter für diesen Verband.

Psychische Herausforderungen

Noa ist eine achtzehnjährige Frau, hat die Schule abgeschlossen und steht vor der Einberufung. Sie hat sich entschlossen zu verweigern und wird dafür ins Gefängnis gehen. Für Nadav, noch in der Schule, hingegen ist klar, dass er seine Pflicht erfüllen wird. „Der Staat Israel kann nicht fortbestehen ohne Zahal und ohne Rekruten für Zahal und ohne Zwölftklässler, die einrücken wollen, weil sie dieses Haus schützen und ihren Beitrag für den Staat und seine Bürger leisten wollen, aus Engagement, aus freiem Willen. Es ist dein Haus. Wenn du es nicht verteidigst, wer dann?“

Für Nofar, eine 29-jährige Studentin, die als Kind mit ihren Eltern aus Äthiopien in Israel eingewandert war, ist klar, dass sie Kampfsoldatin werden will. „Wir, in der äthiopischen Kultur, sind mit Gehorsam und Moral aufgewachsen, einer Haltung, wonach du Befehle von jemanden, dem du die Treue hältst, unbedingt zu befolgen hast“. Für sie ist  auch klar, in den eroberten Gebieten von 1967 zu dienen und die Grenzen zu verteidigen. Im Sechs-Tage-Krieg 1967 besetzt Israel die Halbinsel Sinai, den Gaza-Streifen, die Golan-Höhen, die West-Bank und Ost-Jerusalem. Es beginnt die jüdische Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten.

Den Dienst in den besetzten Gebieten schildert der 21-jährige Ido, direkt nach dem Wehrdienst. Die psychischen Belastungen beim Einsatz an den Grenzposten oder bei Verhaftungen in den besetzten Gebieten belasten nicht nur ihn, sondern auch viele seiner Kameraden. Für ihn sind die Gebiete nicht der Staat, er ist nicht bereit sie zu verteidigen. „Die Gesellschaft wird mich als Extremisten bezeichnen. Nach meiner Auffassung sind all die anderen Extremisten, und ich bin einfach normal“.

Vom 27. Dezember 2008 bis zum 18. Januar 2009 führte die israelische Armee im Gaza-Streifen die Operation „Gegossenes Blei“ durch. Für Maor, einen dreißigjährigen Studenten war das der Anlass, sich endgültig für die Verweigerung zu entscheiden. Er ist bereit ins Gefängnis zu gehen und gesellschaftlich ausgegrenzt zu sein. Nir hingegen hält es für unzulässig nicht zum Wehrdienst einzurücken oder zur Verweigerung aufzurufen. Mit vielem was die Armee in den besetzten Gebieten macht, ist er aber  nicht einverstanden. Die Gedanken zum Dienen für ihr Land beschließen die Monologe von Elad, Or, Ronen und Daniel.

Keine Antwort für die Zukunft

Am Schluss fragt sich der Autor, ob ihm die Gesprächsteilnehmer die Wahrheit gesagt haben.  Er greift auf eine angebliche Aussage von Golda Meir, der israelischen Premierministerin von  1969  bis 1974 zurück. Sie soll zu Ägyptens Staatspräsident Anwar Sadat, 1980 bis 1981,  gesagt haben: „Wir können Ihnen vergeben, dass Sie unsere Söhne getötet haben. Aber wir werden Ihnen niemals vergeben, dass Sie uns dazu gebracht haben, Ihre zu töten.“ In der Erinnerung ist manches nicht mehr klar zu definieren, insgesamt sind die Aussagen aber beeindruckend und machen nachdenklich.

Auch in Zukunft werden sich junge Israelis die Frage „Ist es noch gut für unser Land zu sterben?“ stellen müssen. Der Nahe Osten ist ein Unruheherd und die Konfrontation zwischen Israel und dem Iran trägt nicht zur Beruhigung bei. Wer sich dafür interessiert, wie  Israelinnen und Israelis über die Armee, ihre Dienst- oder Reservedienstzeit, Ethik und Moral denken und sprechen, sei das Buch empfohlen.

David Ranan „ Ist es noch gut für unser Land zu sterben?“ – Junge Israelis über ihren Dienst in der Armee. Nicolai-Verlag 2011, ISBN 978-3-89479-689-1, 19,95 €.

 

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